Donnerstag, 19. Februar 2015

Nach Australien reisen?



Alles begann mit einer außergewöhnlichen Mail, die ich eines Sonntags morgens im November in meinem Posteingang fand. „Are you a relative?????“, stand in der Betreffzeile und mit „Cheers“ grüßten Peter and Bernadine Hupfeld aus Kangaroo Island. Ihr „great Grandfather“ sei William Zimmermann Hupfeld, geboren im Jahre 1835 in einem Ort in Hessen, den ich noch nie gehörte hatte, Gernrode in der Nähe von Leinefelde. Er sei nach Australien gekommen, habe im Jahre 1855 Fanny Penfold geheiratet und die beiden hätten 16 Kinder bekommen. Sie (Peter und Bernadine) seien im vergangenen Jahr in Deutschland gewesen,  jedoch habe ihre  Suche nach Familieninformationen keinen Erfolg gehabt. Sei ich vielleicht eine der der zwei Hupfelds mit dem Vornamen „Renate“, die sie unter den 400 Namen im Internet gefunden hatten? Und selbst, wenn nicht, würden sie sich über eine Antwort freuen, auf dem Foto sähe ich ja ganz „fit“ aus. Und dann der Knaller: „Do you travel?“ und eine Einladung zum Aufenthalt auf ihrer Farm.
Keine Frage: Eine Reise nach Kangaroo Island konnten wir uns vorstellen. Ob wir mit Peter and Bernadine Hupfeld verwandt waren? Das war nun ein Fall für meinen Schwiegervater Erwin Hupfeld,  geboren im hessischen Dorf Abterode am Meißner in der Nähe von Germerode. Erwin war bei der Erforschung seiner Ahnen Kirchenbüchern den Wurzeln der Hupfelds bereits auf die Spur gekommen und hatte nicht eher Ruhe, bis er eines Nachts die Herkunft des Stammvaters der australischen Hupfelds herausgefunden hatte. Peters Urahn war Friedrich Wilhelm Hupfeld und wurde im Januar 1845 in Germerode am Meißner geboren, nur wenige Kilometer von seinem eigenen Heimatdorf und von Weidenhausen entfernt.
Das war eine faszinierende Entdeckung. Großzügig betrachtet waren wir tatsächlich „relatives“. Nun gingen die Mails zwischen deutschen und australischen Hupfelds hin und her. Da wurde auf beiden Seiten der Weltkugel recherchiert, wurden Erkenntisse gewonnen und Informationen ausgetauscht.
Die Story der Hupfelds in Australien begann mit einer Urkunde vom 15. März 1845, mit der dem Bergmann Johann Nikolaus Zimmermann aus Germerode von der kurfürstlichen Regierung der Provinz Niederhessen die Entlassung aus dem kurhessischen Untertanenverband gewährt wurde, um zusammen mit seiner Familie nach Nordamerika auszuwandern. Am 2. April 1845 wurde dem Germeröder das Schriftstück ausgehändigt und keine drei Wochen später befand sich Johann Nikolaus Zimmermann mit seiner Frau Anna Elisabeth, geborene Schülbe, verwitwete Hupfeld, deren 10-jährigem Sohn aus erster Ehe Friedrich Wilhelm Hupfeld und dem gemeinsamen 2-jährigen Sohn Johannes Zimmermann im dicht besetzten Zwischendeck eines Dreimastseglers. Unter Kapitän Eugen Laun verließ die  „Heerjeebhoy Rustomjee Patel“ am 21. April 1845 den Bremer Hafen. Die Fahrt ging allerdings nicht nach Nordamerika, wie in der Urkunde vermerkt, sondern nach Australien, wo das Schiff nach fünf Monaten, am Donnerstag, dem 18. September 1845, den Hafen von Adelaide erreichte. Zwei Tage später berichtete die südaustralische Zeitung:
„Wir geben die Ankunft der lang erwarteten „Heerheebhoy Rustomjee Patel“ aus Bremen bekannt, mit 262 Deutschen Einwanderern, nach einer Reise von 117 Tagen [Anmerkung: 150 Tage!!!] von Hafen zu Hafen. Ihre Überfahrt war durchweg angenehm und glücklich, mit Ausnahme von vergangenem Sonntag, als das Wetter so rau und stürmisch, dass das Schiff starke Schlagseite hatte und selbst die Matrosen zugaben, dass sie für einige Stunden in einer beträchtlichen Gefahr waren. [ … ] Während der Überfahrt wurden sieben Kinder geboren und elf Personen starben, hauptsächlich alte Menschen und sehr junge Kinder. “
Familie Zimmermann hatte die Strapazen der langen Schiffsreise überstanden und befand sich nun fern der deutschen Heimat, um in Südaustralien ein neues Leben zu beginnen. Warum sie die hessische Dorfidylle zu Füßen des Meißnerberges verlassen hatte, kann man nur ahnen. Es mögen politische oder religiöse Gründe gewesen sein, vermutlich jedoch wirtschaftliche. Missernten, Arbeitslosigkeit und Ausbeutung im monarchisch geprägten Deutschland machten den Menschen schwer zu schaffen. Für viele war Auswanderung der einzige Weg aus der bitteren Armut. Als Bergmann hatte Johann Nikolaus Zimmermann gute Aussichten,  in der 150 Kilometer nördlich von Adelaide  gelegenen Kupfermine in Burra Arbeit zu finden.
Sein Stiefsohn Friedrich Wilhelm wurde William Hupfeld Zimmermann genannt. Er wuchs heran, wurde Farmer und kaufte Land in dem kleinen Ort Virginia, wo er Getreide anbaute und Schafe hielt. Den Namen Hupfeld führte er erst nach der Beurkundung seiner australischen Staatsbürgerschaft, die er benötigte, um zu heiraten. Am 9. Mai 1855 wurden der 20-jährige Friedrich Wilhelm Hupfeld und die 16-jährige Fanny Penfold, aus England eingewandert, in der S. George’s Church in Gawler getraut. Friedrich Wilhelm und Fanny Hupfeld bewohnten und bewirtschafteten eine Farm im nahe gelegenen Peachy Belt, später Penfield genannt. Sie bekamen sechzehn Kinder, von denen die ersten drei im frühesten Kleinkindalter starben und insgesamt nur neun das Erwachsenenalter erreichten.
Die Nachfahren von Friedrich Wilhelm und Fanny Hupfeld haben in Zeiten des Internets zueinander gefunden, tauschen Informationen aus und veranstalten regelmäßige Familientreffen. Wir Hupfelds in Deutschland wurden in die Familienkommikation voll integriert und zu der Einladung nach Kangaroo Island kam eine auf die Farm von Janette und Russell Hupfield in den Hügeln von Mountain View unweit von Melbourne hinzu.

Getreu dem Motto „Do you travel?” machten sich Renate und Walter Hupfeld aus Hamm in Westfalen an einem Sonntag im Januar 2007 auf die Socken zu den Spuren der Auswanderer aus Hessen auf dem fernen Kontinent. Geplant war eine Tour von Sydney bis Adelaide mit jeweils einigen Tagen Aufenthalt bei den australischen Verwandten, das heißt bei Melbourne einen Abstecher zur Farm von Janette und Russell in Mountain View und bei Adelaide einen zu der von Peter und Bernadine auf Kangaroo Island.

[...]


Ein Taxi bringt uns für 15 $ zu Britz in die Gardeners Road 653, wo wir den gebuchten Camper abholen. Es ist schon fast Mittag, als wir Sydney in südliche Richtung auf dem Princes Highway verlassen und feststellen, dass Linksfahren unerwartet gut geht und wir mit unserem gemäßigten Tempo niemandem ein Ärgernis sind.
Nach einer guten halben Stunde biegen wir nach links ab in den Royal National Park. An einem Schrankenhäuschen werden wir angehalten, müssen aber nichts bezahlen, weil wir nur durch fahren. Die geteerte Straße führt zu einer Picknick Area, wo wir parken und erst einmal die ungewohnten Ausmaße unseres bewohnbaren fahrbaren Untersatzes auf uns wirken lassen. Bei der Gelegenheit können wir an der Idylle jenseits der Großstadt erfreuen.
Den nächsten Stopp machen wir auf dem Bald Hill, also in einer etwas höher gelegenen Region. Der Pacific Ocean ist tief unten zu sehen und in einiger Entfernung die kühn entlang der Felsküste gebaute Hochstraße, auf der wir nachher fahren werden. Zusammen mit vielen anderen Outlookern beobachten wir die Aktivitäten der Paraglider.
Die Küstenstraße „Grand Pacific Drive“ führt uns über besagte „Sea Cliff Bridge“ und  im weiteren Verlauf durch kleine Orte mit Ferienbetrieb und gut besuchten Stränden. In der Nähe von Wollongong gelangen wir zurück auf den Princes Highway, der mit unseren Autobahnen nicht zu vergleichen ist, denn er führt durch die Orte. Viele beginnen mit einem längeren Straßenabschnitt gesäumt von Geschäften, kleinen Industrie- und Imbissbetrieben. Auf einem Parkstreifen halten wir an und besorgen uns bei Fish’n Chips ein gebratenes Hähnchen. Mit dieser Köstlichkeit weihen wir gleich die Essecke im Camper ein. So gut isst es sich in Down Under am Straßenrand.
Dann fahren wir ungefähr 40 km bis Kiama, wo wir unterhalb des Leuchtturms parken und von wo ein Weg zum viel beschriebenen Blowhole führt, das aber die berühmte Fontäne wegen mangelnder Brandung nicht bieten kann. Noch ein kurzer Gang in den kleinen Hafen, Möwen, Angler und Surfer beobachten.

Wir fahren noch bis zum Eintritt der Dämmerung und finden einen Schlafplatz in der Nähe des Lake Conjola, allerdings nicht am See, weil dessen Ufer mit Ferienanlagen gesäumt ist, sondern einige Meter oberhalb des Highway am Rande eines Wäldchens, aus dem mediterranes Gezirpe zu hören ist.

[...]

Nach einer Mütze Schlaf begrüßt uns der Morgen jung und frisch mit Sonnenschein. On the road again gegen 8:30 pm. Auf dem Highway (Höchstgeschwindigkeit 100 km/h) ist es ruhig. Er ist weitgehend einspurig. Rasen ist out in Down Under. Wir durchfahren den Ort Ulladulla, machen einen Schwenker zur Pebbly Beach, wo wir um diese Zeit natürlich keine Känguruhs sehen, aber im Ocean baden können. Weiter fahren wir bis zum kleinen Hafen von Batemans Bay, wo wir im Woolworth Supermarkt Getränke, Obst, Croissants und Muffins kaufen und den Kühlschrank im Camper einweihen.
Einige Kilometer südlich besuchen wir „Old Mogo Town – Gold Rush Theme Park“, detailgenaue Nachbildung eines historischen Goldgräberdorfes aus dem 19. Jahrhundert, in dem seinerzeit Goldsucher gewohnt, gelebt und geschürft haben. Alles wird liebevoll zelebriert, vom Wohnhaus mit den verschiedenen Räumen, Zelten der Arbeiter, Restaurant, Postoffice, Maschinen zum Zerkleinern des Gesteins, der Mühle und natürlich der Goldwaschanlage, an der wir diese Kunst selbst ausprobieren dürfen.
Weiterfahrt mit Pausen in Quaama und Bega Valley Lookout. Zum Dinner bekommen wir Calamari bei Fish’n Chips in Tathra Beach und dann geht’s wieder ans Schlafplatz suchen. Camping ist hier in Strandnähe verboten, also woanders schauen. National Parks sind immer gut zum Campen, das wissen wir noch von unserer Canadareise. Zum Bournda National Park ((7$) ist es nicht weit. Und dann wird es endlich wahr, ganz überraschend in dem Moment: Links am Straßenrand das typische Schild mit dem australischen Beuteltier in schwarzer Farbe auf gelbem Grund. Sogleich müssen wir uns gegenseitig fotografieren. Kurz darauf wird es noch schöner: Zwei wirklich frei lebende Kängurus stehen unter einem Baum und beobachten uns. Ganz freundlich sehen sie aus, ein bisschen neugierig, sympathische Tierchen. Einen Schlafplatz finden wir in der Nähe des Wallagout Lake, dessen Ufer allerdings nicht zum Abendspaziergang einlädt, total veralgt und glitschig ist es da.


Für die federleichte Bibliothek: Australien Reisebericht - Sydney bis Adelaide